Das Hochstapler-Syndrom: Die Angst entlarvt zu werden

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, Ihren Erfolg nicht zu verdienen? Dass Glück und Zufall die Basis Ihrer Errungenschaften sind? Oder dass man Ihrer Inkompetenz jeden Moment auf die Schliche kommen wird? Ja? Dann geht es Ihnen wie rund 70 Prozent der Menschen, die sich unter bestimmten Bedingungen als Hochstapler/innen fühlen.

Das Hochstapler-Syndrom oder auch Impostor-Syndrom geht auf Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes zurück, die Ende der 1970er Jahre feststellten, dass sich erfolgreiche Frauen oft als nicht besonders intelligent beschreiben bzw. dass sie das Gefühl haben, ihre Leistung würde von anderen überschätzt werden.* Damals wie heute ist das Impostor-Syndrom keine klinische Diagnose, sondern vielmehr eine Beschreibung alltäglicher Gefühlsspitzen. Das heißt, unter bestimmten Bedingungen können wir uns so fühlen, als käme unserer "Unfähigkeit" bald schon jemand auf die Schliche. Mittlerweile weiß man, dass nicht nur erfolgreiche Frauen davon betroffen sind, sondern in vergleichbarer Anzahl auch Männer. Sicher ist auch, dass es nur den Leistungsbereich betrifft und eben kein stabiles Persönlichkeitsmerkmal ist, wobei bestimmte Personen anfälliger dafür sind, als andere. Auch in prominenten Kreisen ist das Phänomen weit verbreitet. Gerüchten zufolge soll sogar der ehemalige US-amerikanische Präsident Barack Obama dann und wann davon betroffen gewesen sein. 

Mögliche Ursachen des Hochstapler-Syndroms

Kindheit: Wurde man in der Kindheit nur für außergewöhnliche Leistungen gelobt, hat sich wahrscheinlich ein hohes Anspruchsdenken manifestiert. Den Betroffenen fehlt die realistische Einschätzung eigener Leistungen. Auch weiß man, dass Mädchen erziehungsbedingt anders auf Misserfolge reagieren, als Jungen. Mädchen schreiben schnell sich selbst Unvermögen zu, während Jungen oft äußere Umstände (Zeit, Situation, etc.) für Fehlschläge verantwortlich machen.

 

Selbstwertgefühl: Menschen mit geringem Selbstwertgefühl neigen dazu, Erfolge eher externen Ursachen (Glück, Zufall, etc.) zuzuschreiben und Misserfolge auf die eigene Person zurückzuführen. Was sich also bereits im Kindesalter zu entwickeln beginnt, kann im Erwachsenenalter seinen Höhepunkt erreichen.

 

Perfektionismus: Im Laufe des Lebens entwickeln wir eine Vorstellung von Kompetenz. Der überzogene Anspruch, perfekt sein zu müssen, setzt unter Druck und schmälert das Gefühl von verdientem Erfolg. Was bedeutet es, erfolgreich zu sein? Wer ist kompetent? Und wie viel Glück oder tatsächliches Können ist im Zusammenhang mit Erfolg gerechtfertigt?

 

Leistungsanspruch der Gesellschaft: Wenn die Gesellschaft von uns scheinbar permanent ein Höher, Weiter, Besser und Kompetenter verlangt, können wir das Gefühl entwickeln, nicht zu genügen. Die Angst vor Kritik und Ablehnung erzeugt dann einen Druck, der vielen zu schaffen macht.

 

Was kann man tun?

Anerkennen des Phänomens: Schon allein das Wissen darum, dass es das Impostor-Phänomen gibt, soll Ihnen den Druck nehmen. Leistungsstarke Menschen, die erfolgreich und kompetent sind, haben sehr oft Selbstzweifel. "Ich weiß, dass ich nichts weiß" plagt viele Experten/innen. Machen Sie sich bewusst, dass diese Gefühle - im Normalfall - wieder vergehen und Sie diese sogar zu Ihrem Vorteil nützen können. Wenn wir der Meinung sind, zu wenig zu wissen, kann gerade dieser Gedanke dazu anspornen, sich einem Thema noch intensiver zu widmen. Und mit jedem weiteren Wissensbruchstück verdrängt die Leidenschaft für das Thema die Gefühle, ein/e Hochstapler/in zu sein.

 

Gedankenspiralen stoppen: Wenn wir uns unfähig fühlen, wird unser Gehirn von begleitenden Gedankenschleifen überschwemmt. Die Abwärtsspirale ist dann meist schon in vollem Gange. Erinnern Sie sich daran, dass andere "auch nur mit Wasser kochen". Unsere Welt ist nicht perfekt, wir dürfen in Rollen hineinwachsen und uns manchmal auch erlauben, hochzustapeln.

 

Selbstwertgefühl steigern: Grundvoraussetzung für nahezu alles im Leben ist ein gesundes Selbstwertgefühl. Lesen Sie facheinschlägige Literatur dazu, üben Sie so oft sich die Gelegenheit im Alltag bietet, sicherer zu werden und lernen Sie trotz Angst und Zweifel den nächsten Schritt zu setzen.

 

Rückmeldungen erfragen: Wer das Gefühl hat, eigene Erfolge nicht wertschätzen zu können, kann sich Rückmeldungen einholen. Wie sieht der Erfolg von außen aus? Welche Unterschiede gibt es zur eigenen Wahrnehmung? Und warum ist es wichtig, Lob annehmen zu können?

 

Therapiemöglichkeiten: Spätestens wenn aus dem alltäglichen Phänomen eine Angststörung oder Depression entstanden ist, ist therapeutische Hilfe dringend anzuraten. Der Gedankengang - durch noch mehr Leistung das gute Gefühl des Erfolges kennenzulernen - ist destruktiv und zu durchbrechen. Sehr gute Erfolge gibt es mit der sogenannten kognitiven Verhaltenstherapie. Begleitend dazu empfehlen Experten/innen eine Schreibtherapie, in der Sie Erfolge zu Papier bringen und lernen, diese anzuerkennen, auszuhalten und Lob anzunehmen.

 

Der achtungleben-Hochstapler-Schnelltest

Welche der folgenden Aussagen treffen auf Sie zu?

 

  • Ich habe das Gefühl, meinen Erfolg nicht zu verdienen.
  • Auch wenn ich Lob für meine Leistung bekomme, fühle ich mich nicht so kompetent, wie andere es mir zuschreiben.
  • Ich stelle sehr hohe Ansprüche an mich.
  • Einen Großteil meines Erfolges schreibe ich dem Glück zu.
  • Ich will immer einen guten Eindruck hinterlassen.
  • Ich fürchte, mein Umfeld könnte entdecken, dass ich nicht so intelligent bin, wie es glaubt.
  • Ich achte sehr darauf, was andere über mich denken.
  • Ich fürchte mich davor, Fehler zu machen.
  • Ich habe Schwierigkeiten damit, Lob anzunehmen.
  • Manchmal weiß ich selbst nicht, wie ich es so weit schaffen konnte.
  • Ich weiß nicht, warum meine Leistung etwas Besonders sein soll.
  • Ich habe das Gefühl, die Anerkennung, die mir zuteil wird, nicht zu verdienen.
  • Meine Konkurrenten/innen sind leistungsstärker als ich.
  • Jedes meiner Arbeitsergebnisse muss andere überzeugen.

 

Dieser Schnelltest stellt keinen wissenschaftlichen Anspruch und dient ausschließlich zur Gedankenanregung. Wenn Sie mehr als die Hälfte der Aussagen angekreuzt haben, lässt sich zumindest eine Tendenz zum Hochstapler-Syndrom erkennen. Steuern Sie mit oben beschriebenen Maßnahmen gegen und bleiben Sie auf alle Fälle neugierig, was sich verändert, wenn Sie Ihre Erfolge zu respektieren beginnen.

 

In diesem Sinne herzlichst

 

Tamara Nauschnegg

 

 

*Clance, P.R., Imes, S.A.: The impostor phenomenon in high achieving women. Dynamics and therapeutic intervention. IN: Psychotherapy Theory, Research, and Practice. 1978.

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Annette Wallisch-Tomasch (Donnerstag, 31 Januar 2019 23:16)

    Danke für diesen schönen Beitrag.
    Ja, ich gehöre auch zu den 70%. Und immerhin kann ich schon drüber schmunzeln. Und mich freuen, was ich trotz meiner Inkompetenz schon alles erreicht habe :-D
    Schöner Text!

  • #2

    Tamara Nauschnegg (Freitag, 01 Februar 2019 08:38)

    Vielen lieben Dank. Tolle Einstellung und großes Kompliment für deine "Inkompetenzen"! Ich verfolge sie sehr begeistert!!!
    Was das Thema angeht: Es liegt mir am Herzen und ja, auch ich gehöre immer wieder zu den 70%. :-)

    Herzliche Grüße, Tamara