Besser streiten - 15 Wege Konflikte zu entschärfen

Einen Tag nach dem Valentinstag erlaube ich mir, einen nüchternen Blick auf unsere Beziehungen zu werfen. Und zwar um zu zeigen, dass sie auch trotz Konflikte gelingen können und es 364 weitere Tage gibt, an denen Beziehungen zu gestalten sind. So romantisch der Valentinstag auch gewesen sein mag, Beziehungen und Nähe entwickeln sich an den übrigen Tagen des Jahres.

Gleich einmal vorweg: Konflikte sind Teil jeder noch so guten Beziehung. Und der Anspruch - Streit vermeiden zu müssen - zwingt lediglich dazu, uns permanent zu verstellen. Kaum eine Basis für eine zukunftsträchtige Beziehung, wie ich finde. Außerdem holen verdrängte Themen jedes Paar irgendwann ein, sodass ein rechtzeitiges Hinsehen beziehungserhaltend sein kann. Streit ist also manchmal notwendig und sinnvoll. Und zwar besonders dann, wenn er den Blick klärt, die Bedürfnisse beider Partner/innen aufzeigt und eine gemeinsame Entwicklung fördert. Tatsächlich jedoch basieren etwa 69 Prozent unserer Streitigkeiten nicht auf Themen, die gelöst werden können, sondern auf grundsätzlichen Unterschieden in den Persönlichkeiten oder dem Lebensstil, wie der emeritierte Professor John Gottman nach jahrelanger Forschung weiß.* Durchschnittlich 69 Prozent der Konflikte sind also nicht lösbar und werden damit zur Herausforderung jeder Beziehung. Oder anders gesagt: Das Gelingen einer Beziehung hängt auch damit zusammen, wie Paare mit den unlösbaren Konflikten umgehen.

 

Eine angemessene Streitkultur zu leben ist sinnvoll. Das heißt, wir dürfen - oder müssen sogar - immer wieder für uns eintreten, können dies aber auf eine konstruktive Weise tun. Wenn ich Ihnen nun erzählen würde, dass Streitigkeiten niemals mit erhobener Stimme ausgetragen werden sollten, ist das zwar wünschenswert, aber nicht realistisch. Setzen Sie sich nicht unter Druck. Jede/r verliert irgendwann die Kontenance. Entscheidend ist vielmehr über die Vorteile einer konstruktiven Streitkultur Bescheid zu wissen, um sie in den eigenen Kommunikationsstil einfließen zu lassen. 

 

Was kann ich tun?

#1: Perspektive wechseln. Versetzen Sie sich in die Lage Ihres/r Partners/in. Ein Konflikt wird zwischen Menschen ausgetragen, die - nach eigenem Empfinden - gute Gründe dafür haben. Prüfen Sie gemeinsam die jeweiligen Gründe und gehen Sie nicht automatisch von einer Verletzung des Verletzens willen aus.

 

#2: Bleiben Sie in der Ich-Form. Äußern Sie Ihre Bedenken, Zweifel und Kränkungen aus der Ich-Perspektive. "Ich bin gekränkt…""Ich habe das Gefühl, dass…" oder "Ich fühle mich…" erklärt die Situation, belehrt aber nicht und weist auch keine Schuld zu.

 

#3: Jetzt oder nie. Sind Sie enttäuscht oder verletzt, lohnt ein zeitnahes Ansprechen. Missverständnisse oder Unklarheiten lassen sich auf diese Weise schnell aus der Welt schaffen. Erst das längere Grübeln bauscht - selbst Belangloses - auf und führt zu unnötigen Spannungen.

 

#4: Der Wert eines Streits. Müssen wirklich alle Themen ausdiskutiert werden? Ist jede flapsige Bemerkung einen Gegenschlag wert? Etwas überhören oder übersehen zu können ist eine edle Form persönlicher Gelassenheit. Insbesondere bei Banalitäten des täglichen Lebens. So gehört das Diskutieren über die vielzitierte offene Zahnpastatube mit Sicherheit nicht zum sinnvollen Verwenden kostbarer Lebenszeit.

 

#5: Selbstsabotage. Erkennen Sie, wenn Streit ein Mittel zur Selbstregulation wird. Menschen gewöhnen sich an ihre vorherrschende Stimmung. Das heißt, wenn dauerhaft missmutiger Zynismus das Leben bestimmt wird das Gefühl der Freude und Ausgelassenheit zunächst wahrscheinlich mit Misstrauen beantwortet. Erkennen Betroffene den Zusammenhang nicht, versuchen sie sich durch Streit wieder auf ihr gewohntes Stimmungsniveau zu bringen anstatt sich der Freude zu öffnen.

 

#6: Automatismen. Die Prozesse unseres Gehirns müssen immer wieder auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüft werden. So neigt das Gehirn grundsätzlich dazu, recht haben bzw. nicht korrigiert werden zu wollen und hinterfragt daher nicht automatisch die Gründe des/r Partners/in. Lernen Sie Ihre Automatismen kennen und entscheiden Sie dann, wann diese nützlich und wann eher hinderlich sind.

 

#7: Schuldzuweisungen. Wer immer die Schuld im Partner sucht und findet, bringt sich um seine persönliche und eine gemeinsame Entwicklung. Niemand macht stets alles richtig, aber mit Sicherheit auch nicht alles falsch. Übernehmen Sie Verantwortung für Ihren Beitrag am Konflikt. Auf diese Weise verringert sich das Gefühl von Ohnmacht und Sie bleiben handlungsfähig.

 

#8: Keine Beschimpfungen. Manche Streitigkeiten geraten so stark außer Kontrolle, dass sich hinter den Parteien kaum ein liebevolles Paar vermuten lässt. Niemals die Stimme zu erheben ist unrealistisch, Beschimpfungen, Kraftausdrücke oder gegenseitige Abwertungen sollten jedoch in einer Beziehung keinen Platz haben.

 

#9: Zuhören. Im Streit sind Menschen oft ehrlicher als sie es sein wollen. Hören Sie zu und lesen Sie zwischen den Zeilen. Warum ist ein Thema für Ihre/n Partner/in gerade jetzt einen Streit wert? Was will er/sie eigentlich damit sagen? Ist ein Gegenargument wirklich nötig bzw. sinnvoll? Wer nur spricht, erfährt nichts und wer statt zuzuhören sich nur auf seine Antwort vorbereitet, überhört womöglich  wichtige Informationen.

 

#10: Gemeinsamkeiten entdecken. Wir konzentrieren uns oft so sehr auf die Unterschiede, dass wir die Gemeinsamkeiten übersehen. Ein Streit ist nicht "gewonnen", wenn der/die Partner/in unsere Meinung vollständig übernimmt. Wir wollen ihn oder sie ja nicht "einnehmen", sondern eine gemeinsame Richtung finden.

 

#11: Mitmenschen fragen. Wie gehen andere mit Streitigkeiten in der Partnerschaft um? Wie straff ist Ihr Empfindlichkeitsbarometer - im Vergleich zu anderen - eingestellt? Und wie können Sie Ihre Streitkultur verbessern? Wir lernen oft erst in Konflikten unsere eigenen Grenzen kennen. Erweitern Sie diese mit Hilfe Ihrer Mitmenschen. Neue Verhaltensweisen führen schließlich zu neuen Konsequenzen.

 

#12: Umgang mit Unlösbarkeit. Wenn etwa 69 Prozent der Konfliktthemen nicht lösbar sind, muss es alternative Wege geben, mit ihnen umzugehen. Akzeptanz, Gelassenheit und eine Portion Humor helfen in jedem Fall. Konzentrieren Sie sich auf die wichtigen, nachhaltigen Themen und verschwenden Sie nicht zu viel Ihrer Zeit und Energie, um über Nebensächliches zu diskutieren. Akzeptieren Sie aber auch, wenn manche Spannungen nicht sofort lösbar sind. Haben sie doch auch meist eine längere Zeit gebraucht, um sich aufzubauen.

 

#13: Erkenntnisse. Wenn ein Streit sinnlos ist, muss er es nicht zwangsweise bleiben. Am Ende kann - mit ein wenig Übung - so manches Mal doch noch etwas Wertvolles herausgeschält werden. Und zwar beispielsweise die Erkenntnis, wann Streit sinnvoll, zielführend oder lediglich Zeitverschwendung ist. Vielleicht lassen sich - durch die neu gewonnenen Erkenntnisse - so manche der ungelösten Konflikte am Ende doch noch lösen?

 

#14: Trennungen. Wenn Streit überhand nimmt, keine Gemeinsamkeiten mehr gefunden werden und das Leben zu zweit mehr einer gegenseitigen Verpflichtung als einer Entscheidung entspricht, dann muss auch eine Trennung in Erwägung gezogen werden. Trennungen sind manchmal nötig, um weitergehen zu können und sich und dem/der Partner/in die Möglichkeit zu geben, wieder glücklich zu werden.

 

#15: Die Gottman-Konstante. Der oben zitierte Professor, John Gottman, definierte die sogenannte Gottman-Konstante. Sie besagt, dass das Verhältnis von positivem zu negativem Verhalten mindestens 5:1 betragen muss. Er beobachtete, dass in stabil-zufriedenen Beziehungen positive Interaktionen deutlich überwiegen bzw. eine negative Interaktion durch fünf positive kompensiert werden kann.

 

Keine Beziehung kommt ohne Streit aus. Zu verschieden sind die Menschen, zu zahlreich die Herausforderungen. Entscheidend ist, wie wir mit den täglichen Diskrepanzen umgehen. Und in dieser Hinsicht dürfen wir stetig lernen. Das ist (gemeinsame) Entwicklung. Viele Anregungen und weitere Tipps dazu finden Sie in meinem Buch KRÄNKUNGEN - Was sie wert sind und wie wir sie überwinden.

 

Herzlichst,

 

Tamara Nauschnegg

 

 

* Fulweiler, M.: Managing Conflict: Solvable vs. Perpetual Problems. https://www.gottman.com/blog/managing-conflict-solvable-vs-perpetual-problems/, [Online: 12.02.2017].

 

 


Folgende Artikel könnten sie auch interessieren:


Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Babua (Dienstag, 14 Juni 2022 17:05)

    Vielen Dank für diese Tipps. Ich werde sie systematisch ausprobieren! Schöne Grüße und gesund bleiben! Babua

  • #2

    Tamara Nauschnegg (Mittwoch, 15 Juni 2022 11:01)

    Hallo Babua!
    Vielen herzlichen Dank für die Rückmeldung! Viele Aha-Erlebnisse wünsche ich und alles Gute auch für Sie! :-)
    Herzlichst Tamara Nauschnegg