Manche Wegstrecken sind allein zu gehen, um sich mit der Dunkelheit vertraut zu machen

Eine der zentralen Säulen des Lebens ist die Gemeinschaft. Im Menschen steckt noch immer das urzeitliche Herdentier – Einsamkeit schadet. Umgekehrt ist das bewusste Alleinsein eine wertvolle Quelle. Sobald es keine Zerstreuung mehr braucht, sind wir mit allem konfrontiert, was der Blick nach innen zu bieten hat. Schöne Erinnerungen, überschwängliche Emotionen, aber vielleicht plötzlich auch Unsicherheiten und Zukunftsängste. Die größte Herausforderung ist dabei das Aushalten der Empfindungen. Reflexartig versuchen wir diese zu verdrängen, anstatt sie kommen zu lassen, zu beobachten, aushalten zu lernen und dann wieder ziehen zu lassen. Verhaltenstherapeutische Maßnahmen zu Ängsten aller Art basieren wesentlich auf dem Umgang mit den Emotionen und Gefühlen. Betroffene von Panikstörungen werden beispielsweise dazu angehalten, in Momenten größter Angst nicht zu fliehen, sondern sich beruhigen zu lernen. Und zwar allein. Die Flucht vor den überschwemmenden Empfindungen (durch Zerstreuung oder andere Menschen) würde zwar zunächst Erleichterung bringen, erhöht jedoch innerlichen Stress. Die Spirale der Angst beginnt sich zu drehen. Übertragen auf Momente der Stille, die nicht nur angenehme Empfindungen mit sich bringen, heißt das: Lernen Sie, Ihre Emotionen und Gefühle anzunehmen, sie kommen zu lassen, zu beobachten – vielleicht können Sie mit ihnen in Kontakt treten – und dann wieder ziehen zu lassen. Brauchen wir für alle aufkommenden Ängste oder Hürden andere, entwickelt sich im ungünstigsten Fall eine generelle Angst vor dem Alleinsein oder das Gefühl, das Leben nicht allein bewältigen zu können. Der Auftrag heute lautet also: „Lernen Sie, Ihre Empfindungen auszuhalten.“ Das gilt für die Angst im Allgemeinen, aber auch für scheinbar unüberwindbare Herausforderungen. Manche dunklen Stunden brauchen zunächst nur eines: Die Überzeugung, mit ihnen umgehen zu lernen. Und dann machen Sie sich Schritt für Schritt auf den Weg hindurch. Apropos Schritt: Ein wichtiger Schritt ist nachzuspüren, was die Phrase „das ist nicht auszuhalten“ bedeutet. Erfahrungsgemäß verwechseln wir sie im alltäglichen Sprachgebrauch oft mit „das ist unangenehm“. Ja, viele Begebenheiten sind unangenehm… aber auszuhalten.

 

Herzlichst Tamara Nauschnegg

 

P.S.: Diesem Thema widme ich mich ausführlich in meinem Buch „UNSICHERHEITEN – Dem Ungewissen begegnen und daran wachsen“. Ich beschreibe physiologische Zusammenhänge und psychologische Konzepte. Wissen schafft Wege. 

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