Stell dich nicht so an! Wenn das Bewältigen von Problemen überheblich macht

Herausforderungen zu überwinden erfordert Geduld, Schweiß und Tränen. Gelingt es schließlich doch, uns über das Problem zu erheben, werden wir mit dem guten Gefühl der Stärke und einem wachsenden Mitgefühl für andere belohnt. Meistens. Doch es gibt auch gegenteiligen Effekt: Wachsende Ungeduld und Abwertung jener, die an Problemen scheitern, die wir selbst bewältigen konnten.

In zahlreichen psychologischen Untersuchungen der letzten Jahre fanden Wissenschaftler/innen heraus, dass Menschen, die Probleme am eigenen Leib erfahren haben, sich mitfühlender gegenüber jenen verhalten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Für gewöhnlich lässt die eigene Geschichte Verständnis für die erlebten Mühseligkeiten anderer zeigen. Menschen mit Überwindungsgeschicken werden dann zu Vorbildern, die gerne um Rat beten werden. Doch was geschieht, wenn es dem/der Hilfesuchenden nicht und nicht gelingen will, die Herausforderung zu meistern? Wie reagieren jene, denen das Überwinden desselbe Problems bereits gelungen ist?

 

Ein Team aus Wissenschaftlern/innen um Rachel Ruttan konnte zeigen, dass Personen, die eine bestimmte Herausforderung bereits erfolgreich bewältigt hatten, das Versagen anderer in derselben Situation, kritischer bewerten als jene, die eine vergleichbare Gegebenheit noch nicht durchleben mussten. Die Forscher/innen sehen die Ursache darin, dass wir bei erfolgreicher Überwindung die tatsächlichen Mühen nicht mehr detailgenau abrufen können und uns vorwiegend auf unseren Erfolg konzentrieren. Andere Personen, die an derselben Herausforderung scheitern werden dann kritisch beurteilt.

 

Die Erkenntnisse beruhen auf insgesamt fünf durchgeführten Untersuchungen mit mehreren Personengruppen. Eine davon hatte zunächst an einem ermüdenden Gedächtnistest teilzunehmen. Nach einer Woche mussten dieselben Probanden/innen eine Person - die vermeintlich am Test scheiterte - beurteilen. Eine zweite Gruppe bewertete die gescheiterte Person, ohne je selbst am Test teilgenommen zu haben. Tatsächlich beurteilten jene Personen, die den Test erfolgreich absolviert hatten, die vermeintlich gescheiterte Person deutlich schlechter als die Probanden/innen, die nicht daran teilgenommen hatten.

 

Schuldig bleiben die Studien die Antwort auf die Frage, ob die gescheiterte Person auch abgewertet werden würde, wenn sie und die erfolgreiche Person eng miteinander befreundet wären. Auch ist noch nicht klar, ab wann sich der Effekt zeigt. Wie vergleichbar muss die Herausforderung sein? Und sinkt die Abwertung mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Herausforderung?*

 

Tatsächlich geben die Studien aber erste Einblicke in das vermeintlich unlogische Verhalten mancher Menschen, die nicht mitfühlend, sondern ungeduldig und fordernd auf die vergeblichen Überwindungsversuche Leidgeplagter reagieren. Erlauben wir uns, die Erkenntnisse - mit Einschränkung - auch auf andere Bereiche zu übertragen, fällt uns schnell auf: Menschen reagieren selten vorhersehbar. Wenn wir beispielsweise eine Trennung überwinden müssen, finden wir mit Sicherheit empathische Menschen, die unseren Kummer nicht kleinreden werden. Und das selbst dann, wenn unsere bisherigen Versuche kläglich scheiterten und die um Hilfe Gebetenen bereits mehrere Trennungen hinter sich gebracht haben. Ziehen Sie aber auch in Betracht, dass so manche/r "Trennungsspezialist/in" forsch, ungeduldig, ja sogar abwertend sein wird. Der eigene Sieg über den Liebeskummer kann offenbar manchmal blind für die Gefühle anderer machen.

 

ABER: Ging es uns nicht allen irgendwann so? Wir erinnern uns zwar an die Strapazen der Herausforderungen, können aber die tatsächliche Verzweiflung nicht mehr in vollem Ausmaß spüren. Ein gesunder Mechanismus im Grunde, denn nur wenn wir Wunden auch heilen lassen können, werden wir Kraft für weitere Herausforderungen haben. Lassen Sie daher Nachsicht walten und fragen Sie auch öfters mal bei den Personen um Rat, die bisher von Ihrem Unglück verschont geblieben sind. Und wenn Sie zu jenen gehören, die allzu schnell vergessen, wie sehr uns Ereignisse manchmal aus der Bahn werfen, dann schreiben Sie bei zukünftigen Krisen ein paar Worte dazu nieder. Auf diese Weise können Sie Ihre Erfahrungen gedanklich "ablegen", sich später aber auch noch genau genug daran erinnern, um festzustellen, dass das Überwinden von Herausforderungen manchmal mehr als nur den Willen dazu braucht. Ein kleiner Tipp noch zum Schluss: Wenn Sie nicht ausführlich Tagebuch führen und trotzdem vom Niederschreiben profitieren wollen, empfehle ich Ihnen mein Buch 365 Tage Leben - Ihr Tagebuch für das Wesentliche. Mit fünf Minuten täglich lassen sich damit Ereignisse einfangen, Gedanken dazu niederschreiben und Lehrreiches herausschälen. Viel Freude damit! :-)

 

Herzlichst,

 

Tamara Nauschnegg

 

 

 

*Ruttan, R. L., McDonnell, M. H., Nordgren, L. F.: Having “been there” doesn’t mean I care: When prior experience reduces compassion for emotional distress. IN: Journal of Personality and Social Psychology, 108, 2015, 610-622.

 


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